Valentina Daiber:Künstliche Intelligenz verantwortungs­voll nutzen

„Künstliche Intelligenz ist kein Selbstzweck. Sie muss Nutzen stiften für unsere Kunden.“

Sie ist das heißeste Thema der Digitalisierungsdebatte: künstliche Intelligenz (KI).

Viele Menschen lassen sich von KI-Systemen bereits lästige Recherchen oder Übersetzungen abnehmen, Texte verfassen oder Präsentationen bauen. Doch zur Begeisterung über die Leistungsfähigkeit gesellt sich die Sorge vor den Gefahren wie Desinformation durch Deepfakes und Co. Wie wird künstliche Intelligenz unsere Arbeitswelt und unsere Gesellschaften verändern? Ist sie eine Gefahr für unsere Demokratie und bleiben selbst lernende Systeme auf Dauer für Menschen beherrschbar? All diese Fragen stellt sich auch Valentina Daiber, im Vorstand von O2 Telefónica zuständig für Recht und Corporate Affairs. Im Gespräch gibt sie Einblicke, wie das Unternehmen mit KI umgeht.

Frau Daiber, setzt O2 Telefónica heute schon künstliche Intelligenz ein?

Ja, wir verwenden künstliche Intelligenz, um das Netz und das Kundenerlebnis zu verbessern, nachhaltiger zu werden und Geschäftsprozesse zu optimieren.

Fangen wir mit dem Netz an. Wozu wird KI da eingesetzt?

KI hilft, Netzkapazitäten zu planen und dynamische Anpassungen an veränderte Nachfrage vorzunehmen. Es lässt sich eine Menge Energie sparen, wenn die KI beispielsweise einzelne Frequenzen im Netz nachts bei geringer Nutzung in den Stand-by-Modus fährt. Zudem kann KI früher als der Mensch Unregelmäßigkeiten im Netz erkennen – das erleichtert die Wartung und vermeidet Ausfälle, weil Komponenten ausgetauscht werden können, bevor sie kaputtgehen. Durch den Einsatz von maschinellem Lernen im Cyber Defense Center können potenzielle Sicherheitslücken in Echtzeit erkannt und geschlossen werden.

Was haben Ihre Kunden von KI?

Kurz gesagt: Besseren Service und bessere Leistungen. Aktuell werden mehr als 40 maschinelle Lernmodelle genutzt, um Interaktionen mit den Kunden zu optimieren. Die KI erkennt Muster und hilft, personalisierte Angebote zu erstellen. Unser KI-Sprachassistent AURA unterstützt Kunden im Chat unseres Webportals, im WhatsApp-Service-Kanal und in der Hotline mit persönlichem Service – jederzeit und überall.

Wie viele Anliegen kann der Chatbot lösen und wie oft braucht es doch die Kundenberaterinnen und -berater aus Fleisch und Blut?

Der Mensch ist und bleibt unverzichtbar im Kundenservice. Viele suchen das persönliche Gespräch – aus Gewohnheit und immer dann, wenn die Themen komplexer und unklarer sind. Das Volumen maschinell bearbeiteter Kundenanliegen über Apps oder digitale Kontaktkanäle steigt dennoch stetig. Unsere Kundenberater bekommen so mehr Kapazität, sich um die komplizierten Fälle zu kümmern. Bei 48 Millionen Kunden­anschlüssen ist Service ein Massengeschäft. Es ist prädestiniert dafür, dass Mensch und Maschine Hand in Hand arbeiten.

Viele bekannte Tech-Manager warnen vor den enormen Risiken von KI, den potenziellen Gefahren für unsere freie demokratische Gesellschaft. Wie gehen Sie damit um?

Ich glaube an die Chancen von technologischem Fortschritt – das gilt auch bei KI. Gleichzeitig ist klar, dass die Risiken bei KI so real sind, dass es strikter Regeln und großer Sorgfalt bedarf, um Schaden zu verhindern. Die verantwortungsvolle Gestaltung des digitalen Wandels ist zentraler Anspruch unseres Handelns. Deshalb ist O2 Telefónica Gründungs­mitglied in der Corporate Digital Responsibility-Initiative des Bundes­ministeriums für Verbraucher­schutz. Die darin vertretenen Unternehmen verpflichten sich, einem Kodex zu folgen. Zentral darin ist die Vereinbarkeit von KI-Nutzung mit den gesellschaftlichen Grundwerten unserer Demokratie, die Selbstbestimmung der Verbraucher, Transparenz sowie die Menschen­zentrierung von KI-Systemen.

Was heißt das im Business-Alltag?

O2 Telefónica hat schon sehr früh KI-Leitlinien mit Kriterien erarbeitet, nach denen alle Projekte mit KI-Bezug bewertet werden. Ein entscheidendes Kriterium ist, dass die letzte Entscheidung im Umgang mit Daten immer beim Menschen liegt. Der Mensch ist oberste ethische Instanz. Diese Leitlinien gelten bereits in der Konzeptions- und Entwicklungsphase, einschließlich der Nutzung von Produkten und Dienst­leistungen durch Mitarbeitende des Unternehmens. Die Anwendung dieser Grundsätze basiert auf einem „Responsibility by Design“-Ansatz, der es ermöglicht, ethische und nachhaltige Kriterien in die gesamte Wertschöpfungskette einzubeziehen.

Wie begegnen Sie der Skepsis vieler Menschen?

Indem wir die Schutzstandards hochsetzen – etwa was Datenschutz und Privatsphäre angeht. In unserem Mobilfunknetz fallen Tag für Tag enorme Mengen Daten an. Diese nutzt unser internes „Digital & Data Competence Center“ (DDC) soweit es die Datenschutz-Regeln erlauben und unterstützt die verschiedenen Fachbereiche mit analytischem Know-how. Über 80 Kolleginnen und Kollegen entwickeln konkrete KI-basierte Lösungen für die Kundschaft von O2 Telefónica. Die Gesellschaft wird KI nur akzeptieren, wenn sie klaren Regeln folgt, greifbare Vorteile für die Menschen hat und fair ist. Niemand soll durch den Einsatz von KI aufgrund seiner realen oder digitalen Identität schlechtere Chancen haben. Und vor allem: Der Mensch muss immer das letzte Wort haben. Das stellen wir bei O2 Telefónica sicher.

Was halten Sie von der EU-Regulierung zu KI, die sich auf der Zielgeraden befindet?

Mit der KI-Verordnung schafft die EU weltweit den ersten Rechtsrahmen dafür, wie KI-Systeme entwickelt und vor Missbrauch geschützt werden können. Das Ziel muss sein, die Chancen von KI zu nutzen und gleichzeitig die damit verbundenen Risiken zu minimieren. KI-Innovationen sollen in Europa stattfinden – eine Kultur des Verbots oder der einseitigen Regulierung wäre das falsche Signal. O2 Telefónica befürwortet im Grundsatz den risikobasierten Ansatz der EU. Aber es besteht die Gefahr, dass am Ende zu viele Anwendungen in die Hochrisiko-Kategorie fallen und Innovation gehemmt wird. Nur solche KI-Systeme, die tatsächlich eine Gefahr für Gesundheit, Sicherheit oder Grundrechte darstellen, sollten den umfassenden Anforderungen für Hochrisiko-KI-Systeme unterliegen. Wichtig ist: Das KI-Regelwerk muss agil sein, um mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt zu halten. Das Beispiel Chat-GPT hat gezeigt, wie schnell sich in dem Bereich Bahn­brechendes tun kann.

Wo liegen die Chancen von KI?

Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes können von KI profitieren. Mit Hilfe von KI lässt sich die Resilienz in verschiedenen Bereichen steigern: Sie kann früher vor Strom­netzausfällen warnen, Wetter-Risiken erkennen, Sicherheits­lücken in Datennetzen aufdecken oder Liefer­engpässe bei Medikamenten vermeiden. Auch dem Fachkräfte­mangel und den Folgen demogra­fischen Wandels können Menschen und Organisationen mittels KI begegnen. Unternehmen kann KI helfen, wettbewerbs­fähiger zu wirtschaften, Innovationen schneller voranzutreiben, nachhaltiger zu handeln sowie Produktivitätssteigerungen und Kosten­einsparungen zu realisieren.
07.11.2023
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